42. Wolle, der Katzenfreund
Über die Liebe zu Katzen am Beispiel von Milla

Ich bin Katzenfreund. Das war keine Entscheidung, das war mein gesellschaftliches Schicksal. Denn »Milla«, unsere permanent haarende Hausgenossin, gehört eigentlich meiner Frau. Genau gesagt, gehören wir ihr. Wer heutzutage in einem halbwegs zivilisierten Umfeld lebt und keine Katze besitzt, wird mit demselben Blick betrachtet wie jemand, der zugibt, noch nie bei IKEA gewesen zu sein – entweder ein Lügner oder gefährlich unzurechnungsfähig. Also bin ich Katzenfreund - offiziell.

Dabei – und ich gestehe das nur unter dem Schutz literarischer  Meinungsfreiheit – mag ich Katzen nicht besonders. Nein, ich hasse sie auch nicht. Ich toleriere sie. So wie man einen narzisstischen Operntenor toleriert: mit einer Mischung aus Bewunderung und Angriffslust.

Unsere Katze, mit adeligem Titel »Prinzessin von Ihr könnt mich mal«, residiert auf jedem unserer Sessel - unsere Sessel!  Will ich mich auf irgendeinen von ihnen setzen, wirft sie mir einen Blick zu, als wolle sie mir sagen: »Wäre ich größer als Du, wäre dieser Affront jetzt Dein Ende.« Ich fühle mich nur unbeobachtet und frei von Schuldgefühl, wenn sie auf dem Fensterbrett meditiert oder mich verachtet. Was sie beides mit beunruhigend identischem Gesichtsausdruck, und auch ziemlich häufig, tut.

»Milla liebt Dich!«, sagen meine Frau und unsere Freunde, wenn sie sich mit laszivem Desinteresse an meinem Bein vorbeischiebt wie eine zu pelzige Steuerprüfung. »Das zeigt sie durch ihr Verhalten!« Ich nicke zustimmend, während sie mir ihre Haare in die Küche kotzt. Immerhin auf die Fliesen und nicht auf den Wohnzimmerteppich. Auch in anderer Hinsicht zeigt sie mir auf subtile Art und Weise ihre Zuneigung. Ich darf sie gelegentlich streicheln. Das heißt, wenn sie es befielt und auch nur so lange, wie sie es duldet.  Diese Zuwendung erwartet sie vorzugsweise beim Frühstück, mitten in der Nacht, beim Champions League-Finale oder während meiner Telefonate - also genau dann, wenn ich es am nötigsten brauche.

Als wir noch in einem spanischen Reihenhaus lebten, ging sie einer fragwürdigen, wenngleich nützlichen Freizeitbeschäftigung nach. Sie tötete jeden Abend eine Kakerlake, die sich unter der Wohnzimmertür hindurch ins Licht gewagt hatte. Allerdings nicht sofort, sondern - wie ein mittelalterlicher Folterknecht - erst nach einer Reihe von hochnotpeinlichen Drangsalierungen. 

Ich, der große Katzenfreund, darf sie natürlich nicht ausschimpfen. Das wäre Tierquälerei. Nein, ich soll sie loben! »Fein gemacht, du blutrünstige Sofa-Göttin. Bringe mir ruhig das nächste Mal eine zerstückelte Maus.«

Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass sie einen ähnlichen Charakter besitzt wie ihr Vetter, der bengalische Königstiger. Glücklicherweise hat sie aber nur die Maße eines durchschnittlichen Roboterstaubsaugers, sonst wäre ich eines Tages die Maus. Doch während ein Königstiger mit stoischer Konsequenz alles frisst, was schneller zittert als er springt, entscheidet unsere Katze je nach Mondphase, Teppichbeschaffenheit und Luftdruck, was heute Delikatesse und morgen Beleidigung ist. Und wenn ich vergesse, sie zu füttern, weil ich eine Stunde zu spät komme? Dann werde ich von der beleidigten Majestät ignoriert. Einen Tag lang. Bis sie nachts um drei Uhr wieder auf meiner Blase tanzt. 

Aber ich bin Katzenfreund. Ich poste regelmäßig Fotos, auf denen sie mich so kapriziös uns snobistisch anschaut wie die kleine Marie aus dem Film Aristocats. Ich schreibe »sooo süß - Herzchen-Smiley«  darunter und fühle, dass sie trotz all meiner Zuwendung und Fürsorge, trotz meiner Anerkennung ihrer Bedürfnisse und sonstiger Aufmerksamkeiten niemals respektieren wird, dass ich ein Wesen bin mit Würde, Stolz und Rechten.

Trotzdem putze ich weiter ihr Katzenklo. Denn ich bin Katzenfreund. Offenbar.

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