Es ist sonntagmorgens Viertel nach Acht. Es ist kalt und es regnet in Strömen. Ich war gerade mit meinem Hund draußen und frage mich, ob man es noch „Gassi gehen“ nennen kann, wenn Mensch und Tier hinterher aussehen, als hätten sie einen Truppenübungsplatz gepflügt. Immerhin bereitet mir der Gedanke, dass demnächst vielleicht ordnungsamtliche Gen-Tester auf der Jagd nach verbotenen Hundehaufen die Wiesen und Felder meiner Heimatstadt bei diesem Sauwetter durchkämmen müssen, ein stilles Vergnügen. Halbwegs gereinigt mache ich mich auf den Weg zur Bäckerei, um Brötchen zu holen. Früher hätte ich mit meinem wirren Haar, Sechstagebart, Buckel, Schmerbauch, Trainingshose und Gummistiefeln als öffentliches Ärgernis gegolten. Heute würde sich jeder vorübergehende Anthropologe bei meinem Anblick lediglich in der Annahme bestätigt sehen, dass der Homo sapiens die Krone der Schöpfung war und dass das, was nun folgt, wohl ihr Schlafanzug sein muss. In der Bäckerei sieht es nicht viel besser aus. Hier herrscht bei einem Großteil der Kunden die Kleiderordnung einer russischen Kolchose der Fünfziger Jahre. Aber nun gut. Wir sind nicht in Düsseldorf, sondern halbwegs auf dem Land und dort trägt man das, was das rustikale Vorstellungsvermögen so zulässt. Ansonsten regieren hier der Futterneid und das mürrische „Schweigen der Männer“, denn weibliche Kundschaft ist in diesem Laden sonntagmorgens eher die Ausnahme. In den Geruch frischer Teigwaren mischt sich ein Hauch von Rest-Testosteron und Men Expert Vita Lift, mit dem der ein oder andere scheinbar versucht hat, seine Schlaffalten aus dem Gesicht zu klatschen. Die Augen der Meisten sind wie in Trance auf die Brotauslage vor ihnen gerichtet. Manch ein Blick in meine Richtung verrät mir jedoch, dass für diesen Ort eine Fatwa mit öffentlicher Steinigung für den Fall verhängt wurde, dass ich mich vordrängen sollte. Um mich nicht durch einen Schritt in die falsche Richtung in Gefahr zu bringen, schließe ich mich der allgemeinen Semmelhypnose an. Ich starre auf die Auslage und denke: »Wenn Löwen und Hyänen wüssten, dass sich das Ende der Nahrungskette mit Sonnenschein-Krüstchen, Heinzelmännchen-Röggelchen oder Prinz Wilhelm-Mürbchen über Wasser halten muss, würden sie vor dem Verzehr ihres Zebras aus lauter Dankbarkeit ein Tischgebet sprechen.« In mir macht sich ein Gefühl der Heiterkeit breit und als eine schlaftrunkene Gesichtsruine vor mir vier Vital-Hörnchen bestellt, ist es mit meiner Beherrschung vorbei. Mitten hinein in die Lethargie rufe ich: »Liegt ein toter Kuchen auf dem Boden. Kommt ein Typ vorbei und sagt: »Leb Kuchen!« Was nun folgt, ist Schmunzeln und eine Stimme hinter mir: »Kannte ich schon, aber kennt ihr den, wo ein Typ in die Bäckerei kommt und fragt: »Ist hier das Ende der Schlange?« und ein anderer dreht sich rum und sagt: »Nee der Anfang. Wir stehen alle verkehrt rum!« Allgemeines Gelächter. Das Eis ist gebrochen und eine Viertelstunde und zehn Scherze später verlasse ich den Laden mit dem Gefühl, es könnte alles so viel lustiger sein, es muss nur jemand den Anfang machen.
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