Erfolgreiche Krimihelden zerlegen auf ihrer Verbrecherjagd halbe Großstädte, ganze Horden von Schwerstkriminellen und ihre privaten Beziehungen. Die richtig guten Cops haben zudem ständig Stress mit ihrem Chef und bekommen dann zur Beruhigung von ihrem Partner einen Pott Kaffee in der Halbliterklasse gereicht. So muss das! Ich für meinen Teil hätte jedenfalls den Glauben an die Charakterstärke von Bruce Willis oder Mel Gibson verloren, wenn sie nach einer spektakulären Schießerei eine knallbunte Kaffeekapsel aus einer Pappschachtel gefriemelt, daraufhin einer kleinen Kaffeemaschine beim Tröpfeln zugeschaut und zu guter Letzt ein Käffchen aus einer zierlichen Espresso-Tasse geschlürft hätten. Bei Commissario Montalbano geht das natürlich in Ordnung. Der aber ist Italiener und weiß deshalb genau, wie man mit einem Hauch von koffeinhaltigem Schleim durch den Tag kommt.
Vor Jahren waren mein Freund Rolf und ich unerschrockene Truppenärzte bei der Bundeswehr. Deshalb waren wir, wie unsere Filmhelden aus den „Stirb langsam“- und „Lethal Weapon“-Reihen, immer zu einem Pott Filterkaffee aufgelegt. Kaffee war damals dunkel, heiß, bitter, und wenn man ihn umrührte, stand der Löffel aufrecht wie ein Rekrut beim Appell.
Nun aber hatten wir uns seit über zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Von daher hatte ich mich über Rolfs und Rosis Einladung zu ihrer Silberhochzeit mehr als gefreut.
Rolf und Rosi hatten ein Eigenheim in einem Wohnviertel erworben, das in Architektur und Stimmung frappierend an ein Testgelände für Fertighausromantik erinnerte.
Nach einer kurzen Führung durch das Haus – drei Kinder, vier Smarthome-Geräte, null Bücher – landete ich am unteren Ende einer Kaffeetafel, die so lang war, dass ich mir sicher war, der Gastgeber würde mir über WhatsApp zuprosten müssen.
Rolf verschwand. Seine Frau Rosi wedelte mir mit einem Tablett voller bunt schillernder Kapsel-Döschen unter der Nase herum. »Vielleicht einen Tantelotti Grande Lungo?«, fragte sie mit der Selbstverständlichkeit einer Gourmet-Barista-Prinzessin.
Ich hatte keinen Schimmer und zeigte reflexartig auf ein hellblaues Kaffeekondom. Daraufhin rief sie lauthals in Richtung Küche: »Rolfi! Mach mal einen Grande Miseria Allegro Non Troppo für den Wolfgang!«
Rolfi - Ich schwöre, in Hammelburg war dieser Mann als Einzelkämpfer im Dauerregen durch imaginäre Minenfelder gerobbt – und jetzt stand er in Pantoffeln an einem trötenden Designautomaten, der auf Knopfdruck aus Chrom und Software einen gefühlten Espresso destillierte.
»Grande Miseria ist fast leer! Ich hätte noch Fisematenti Totale oder Primitivo Finito Crema!« rief Rolfi zurück.
Ich erkannte ihn kaum wieder. Der Mann, der einst einem Soldaten eine Platzwunde genauso gut mit einer Angelschnur wie mit einem Fahrradschlauch nähen konnte, war nun Butler eines Heißgetränk-Zyklopen, der alle fünf Minuten zischte wie eine kleine Dampflok mit Burnout.
Während der Espresso für jeden einzelnen Gast in individuell erstellten Geschmacksmolekülen aus dem Apparat tröpfelte, schleppte Rolf eine volle Mülltüte durch das Wohnzimmer. Kaffeekapseln, zerdrückt, entleert, glänzend wie die eine Sammlung exotischer Edelsteine aus 1001 Nacht.
Ich murmelte: »Silberhochzeit ist out. Aluhochzeit ist in.«
Des Weiteren fiel mir beim Anblick dieses Beutels mit Wohlstandsschrott meine Oma ein. Sie wäre sich wohl wie die Prinzessin auf der Erbse vorgekommen, hätte sie versucht, statt der üblichen fünf Pfund Filterkaffee fünfhundert schreiend bunte Aludöschen unter ihren Röcken aus Holland heraus zu schmuggeln. Ich war mir auch sicher, dass sie die Verkäufer des Supermarktes »Die zwei Brüder von Venlo« bei einem Kaffeekapsel-Pfund-Preis zwischen 17 und 37 Euro gesteinigt hätte.
Das Bedürfnis nach exklusivem Genuss macht heutzutage wohl schmerzfrei. Deshalb nehmen viele von uns es neben dem Preis auch hin, dass ihre digitale Kaffeezicke inmitten der Hektik zwischen Morgenstuhlgang und Stullen schmieren erst einmal eine halbstündige Entkalkung anordnet, bevor sie den ersehnten »Dolce Vita Extremo Volluto« rausrückt.
Wahres Leben ist anscheinend nur noch mit einer Ristretto-Pfütze im Fingerhut möglich und unsere Freundesliste bekommt durch ihre Einteilung in die türkis-, flieder- oder sonst wie farbige Kaffeekapselgruppe endlich Struktur. Es mag ja ein Ganzkörpergeschmackserlebnis sein, aber ich für meinen Teil hätte lieber mit Rolfi zusammen bei einer Kanne von Omas Filterkaffee gefeiert. Im Übrigen machen mich Berge von Aluschrott nervös und als stillgelegter Luftwaffenoffizier kann ich nur hoffen, dass der Gott der Wiederverwertung ein Einsehen hat und es irgendwann einmal heißt: »Düsenjets aus Kaffeepads.«
Rolf kam zurück. Ich schlug ihm vor, die Gäste doch einfach mit einem Kännchen klassischen Kaffees zu beglücken. Seine Augen wurden feucht. Ich glaube, ein Teil von ihm sehnte sich zurück in die Zeit, als Kaffee kochen bedeutete: Pulver in den Filter, Wasser drauf, warten – und dann auf die Couch, nicht in die Cloud. Heute hingegen: Entkalkungswarnung, WLAN-Aussetzer, Bluetooth-Pairing-Probleme mit dem Milchschaum.
Rosi grinste und sagte: »Unsere Maschine ist sensibel – sie braucht Raum für ihr Aroma.«
Ich überlegte, ob ich meinen nächsten Geburtstag mit einem Wasserkocher feiern sollte. Ohne App. Ohne WLAN. Ohne Kapselkrieg. Nur ich, der Kaffee – und vielleicht ein Stück Streuselkuchen.
Als Rolf dann wieder durch den Raum huschte, murmelte ich ihm zu: »Weißt du noch damals? Offiziersheim, Feldbett, Filterkaffee in Emailbechern...«
Er blieb stehen. Seine Unterlippe zitterte. »Das waren noch Bohnen«, sagte er.
In diesem Moment beschloss ich: Beim nächsten Besuch bringe ich ihm ein Pfund echten Filterkaffee mit. Und einen Löffel, der wieder stehen kann.
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