8. Coffee To-Go oder für zum hier trinken
Wirrwarr in der Kaffee-Bar

Ich war schon den ganzen Morgen durch Berlin gestreunt und nahm nun all meinen Mut zusammen, Szene Cafés eine Tasse Kaffee zu trinken. Gerade war eine Rotte von Handys und Pappbechern jonglierender Hipster aus dem Lokal gestolpert, und ich dachte bei mir, dass eine telefonierende Kaffeetasse, genauer gesagt, ein »SmartPapp Coffee-Cup«, längst überfällig sei. 

Bereits beim Eintreten machte das »Cafforno« einen soliden Eindruck auf mich. Die Wände präsentierten sich im maroden Favela Chic mit bröckelnder Poroton Ziegelverkleidung. Daran hingen Installationen aus verbogenem Baustahlschrott, fantasievoll mit Betontrümmern garniert – ein echter Blickfang für Freunde urbaner

Apokalypse. Auf diese Symbole des unaufhaltsamen Zerfalls fiel ein sanftes Licht aus verbogenen und zerbeulten Kanalrohren, deren rostiger Lochfraß für einen stimmungsvollen Schattenwurf sorgte. Das Interieur bestand aus 50er Jahre Schulmöbeln in »Holzwurm trifft Graffiti« Optik einer soeben im Aussterben begriffenen Schülergeneration. Auf schiefen, ehemaligen Industrieregalen tummelten sich antike Apparaturen und Maschinen wie in Doc Browns Bastelbunker aus dem Hollywood-Klassiker »Zurück in die Zukunft.« Ich war mir ziemlich sicher, dass hier niemand mehr wusste, ob diese Geräte früher einmal Eier gekocht oder dem Bau einer Atombombe gedient hatten. Schließlich thronte über dem Tresen eine meterhohe Anzeigetafel als 1920er Jahre Emailschild-Fake, die 25 Kaffeesorten in 100 Variationen anpries. Von den meisten hatte ich noch nie gehört - und einige davon gab es sogar als Infusion.

Vorsichtig sah ich mich nach Gästen mit Plastikbeuteln und Schläuchen an chromglänzenden Ständern um. Erst später erfuhr ich, dass es sich bei »Infusion Coffee« nicht etwa um eine Form der künstlichen Ernährung, sondern lediglich um

eine eine aufwendige Art der Kaffeezubereitung handelt. Zwischen den »Flat White Coffees« mit Erbsenmilch und diesem morbiden Industrial-Charme von der Sperrmüllhalde wurde mir klar, dass der Zeitgeist mich schon abgehängt hatte, als viele der hier anwesenden Nerds noch als Kondensmilch im Regal standen. Und es lag bestimmt auch an meinem Altersstarrsinn, dass mich die riesige Auswahl an Mushroom-,  Nitro-, Maca-, Raf- oder Coff Tea-Coffees eher mit Beklemmung als mit Euphorie erfüllte. 

Ich suchte mein Heil in der Bestellung eines einfachen Filterkaffees. Dafür erntete ich von einer jugendlichen Schönheit mit aufwendigem Gesichtsschmuck und Extensionszopf hinter der Theke ein kratzbürstiges: »Einen Pour Over Coffee also. To-Go oder für zum hier trinken?«  Wunderbar – ein moderner Anglizismus in einem Atemzug mit uralter Ruhrpott Grammatik. War vielleicht doch noch etwas von der guten alten Zeit übrig geblieben? 

»Für zum hier trinken!« Wozu musst Du noch einen korrekten Satz sagen können, wenn du doch siebzig verschiedene Coffee To-Go, Coffee To-Run oder Coffee To-Fall on the Fresse zusammenrühren kannst?« 

Um meinen Beitrag zum neudeutschen Sprachschatz zu leisten, rotzte ich ein lässiges: »Coffee To-Here drinking« raus. Dieser Spruch hatte sicher großes Potential, aber sie zog nur verächtlich die Augenbrauen in die Höhe. Dann tat sie so, als hätte sie mich nicht verstanden und konterte schnippisch mit einem weiteren ihrer hippen Sprachmixe.  »Wie denn jetzt - Cup oder Becher?« 

Mich überkam die Eingebung, mich besser als antiquarisches Auslaufmodell der menschlichen Evolution zu bekennen. »In einer normalen Porzellantasse, bitte.« Dann legte ich ein bissiges: »Wissen Sie – ich bin schon zu lange erwachsen und von der Mutterbrust entwöhnt. Deshalb würde ich mir an Ihrem Coffee To-Deckelschlitz die Schnauze verbrennen« nach.

Die Prenzlauer Bergblume runzelte ihre Stirn so sehr, dass sich ihr Augenbrauenstecker fast in ihrem Nasenring verfing. Ich hatte verstanden. Sie hatte kein Interesse daran, zu jemandem zuvorkommend zu sein, der in ihren Augen sein Verfallsdatum schon seit vielen Jahren überschritten hatte. 

Als könnte sie meine Gedanken lesen, knüppelte sie mich und meine altersschwache, aber regelbasierte Sprache mit einer rhetorischen Meisterleistung nieder. »Fail, Alter. Hab' keinen Nerv auf Deine lost story. Also Cup. Sonst wieder vorne am Ende der Schlange anstellen.« 

Ich dachte: »Okay! In der Designer Gastronomie ist das Ende der Schlange auch schon mal vorne - wieder einmal etwas gelernt.« 

Während ich auf meine Bestellung wartete, bemerkte ich, wie die Östrogengeneratoren von Germany‘s Next Kaffeepott Model auf Volllast schalteten. Der Grund war ein Amulett behängter Ganzkörpermuskel im Rundum Tattoo, dem sie sich nun wohlwollend

zuwandte. »Hey Börnie. Du siehst heute total verheizt aus. Ich fühl voll Deine crisis. Was geht ab? Ein Bulletproof wie immer?«

»Yo Lady - Mach mir so‘n Drink. Gestern hat mich komplett gekillt. Hab nur gehustlet. Bin ziemlich lost heute.«

»Is ja voll Drama. Wart ab. Die Lady bringt Dich wieder on fire.«

In Anbetracht dieses gefälligen Gedankenaustausches zwischen zwei gestressten Nachwuchskräften stellte ich mir vor, dass meine Bestellung sicher besser gelaufen wäre, wenn ich die folgende Art der Ansprache gewählt hätte. » Hey-Yo, Baddie. Sorry, dass ich noch lebe und nicht schon längst im offline scrolle. Schieb mal ‚nen Bulletproof Coffee rüber. Finde den Stoff total Baba. Mach aber brutal viel Butter und Kokosöl rein, damit meine Muskel-, Hirn- und Samenzellen auf sofort in Modus kommen.« Aber dafür war es für dieses Mal zu spät. 

Nachdem die Lady die Butter und das Kokosöl für Börnis avantgardistische Schlammlawine bereitgestellt hatte, knallte sie meine Tasse auf die Theke, so dass der Kaffee überschwappte. Dann kassierte sie mich wortlos ab und schob mir den

Kassenzettel rüber. Ich ersparte mir daraufhin die todbringende Frage nach Milch und Zucker.

Nachdem ich mich mit meiner Tasse in die hinterste Ecke des »Cafforno« verzogen hatte, blätterte ich zum Zeitvertreib in einem Szene-Magazin. Als ich mich gerade fragte, ob ich die extravagante Kaffeebude nicht schleunigst verlassen sollte, entdeckte ich einen Artikel über den letzten Trend von Kaffeegenuss. Der hieß »Third Wave Coffee« - und die beste Art ihn zuzubereiten, wäre die als – Filterkaffee. 

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