37. Revolution in Kleidergröße M
Oder wie ich den ABBA Pulli verwechselte (eine fiktive Talkshow)

Es war Dienstagabend. Ich erinnere mich genau, denn ich hatte gerade die Fernbedienung gefunden, als meine Frau rief: »Schalte nicht um, das ist wichtig! Da diskutieren sie gleich über ACAB!«

Ich war verwirrt. Ich dachte, das sei eine neue Boyband. Oder eine besonders aggressive Variante von Fußpilz. Was aber kam, war eine Debatte, in der ein nervöser Moderator - ich denke, er hat sicher eine schlecht behandelte Schilddrüsenüberfunktion - mit einer jungen, blonden Frau und einem seriös wirkenden Herrn über einen Pullover diskutierte.

„Wer ist das?“, fragte ich, als die Kamera auf diese Person mit dem entschlossenem Kiefer und einem frisch gebügelten Hoodie schwenkte.

«Das ist Jette Nietzard. Die Vorsitzende der Grünen Jugend!«, sagte meine Frau in einem Ton, als spräche sie von Dr. Ernesto Che Guevara.

«Aha«, sagte ich. »Und was macht sie so?«

»Sie bekämpft das System.«

»Mit einem Pullover?«

»Das ist ein Statement.  Da steht ACAB drauf.«

Ich verstehe ja viel – Steuerbescheide, Eheverträge, sogar die Fußball-Regeln. Aber ich verstehe keine Statements, die bei 40 Grad Buntwäsche eingehen können. Ich fragte nach. »Das ist mir gar nicht aufgefallen. Soll das nicht eher ABBA heißen? Oder ACDC? Vielleicht hat der Hersteller sich verschrieben.«

»Du verstehst das nicht«, sagte sie, »das ist ein Akt der Kritik!«

»Ich habe auch mal Kritik geübt«, sagte ich. »Am Finanzamt. Aber nicht mit meinem Pullover.«

„Das steht für All Cops Are Bastards“, erklärte meine Frau mit dieser pädagogischen Geduld, die sie sonst nur bei der Mülltrennung hat. „Jette Nietzard trägt das auf ihrem Pullover.“

Ich wollte sichergehen. »Ein Revolutionspullover also, ich verstehe. Gibt es dazu passende Socken?«

Meine Frau sah mich vorwurfsvoll an. Sie schätzt vieles an mir, aber nicht meine Gelassenheit bei solchen staatsgefährdenden Themen. 

Ich lenkte ab »Und wer ist der ältere Herr?« fragte ich.

»Das ist Rainer Wendt, der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft.«

»Und was trägt er so auf seinen Pullovern? «

„Wut.“ sagte sie knapp.

»Frau Nietzard, finden Sie wirklich, dass alle Polizisten Bastarde sind? fragte der Moderator.

»Ich finde, dass die Gesellschaft strukturelle Gewalt produziert«, antwortete Nietzard, während sie sich eine rote Baseballkappe mit der Aufschrift »Diselverbot statt Dinstgrat« auf den Kopf setzte.

»Aha«, dachte ich. Die neue deutsche Rechtschreibung. Grüne Jugend eben.«

»Und was sagen Sie dazu, Herr Wendt?«

„Ich finde, dass die Grüne Jugend verboten gehört, brüllte Wendt. Offensichtlich hat auch er eine Schilddrüsenüberfunktion. »Sie wollen doch nur provozieren! Und hinterher erzählen Sie etwas von Missverständnis und dass Sie nur die Leidtragende der bösartigen Gesellschaft sind«, schleuderte Wendt seiner Kontrahentin entgegen.

Ich drehte mich zu meiner Frau um. »Hat Rainer Wendt Kinder?«

»Das weiß ich nicht. Wieso fragst Du?«

»Er redet mit der jungen Frau genauso wie mit einer dreizehnjährigen Tochter, die gerade in die Pubertät kommt. Wie alt ist die Jette? Sie sieht älter als Dreizehn aus – aber nicht viel. «

Meine Frau entgegnete, das Provokation heutzutage nichts mehr mit der Pubertät zu tun hat. Das sei seit Donald Trump politische Mode – und im Übrigen auch sehr erfolgreich. Man könnte einfach alles Mögliche behaupten. Man müsse nur hinterher sagen, dass man falsch verstanden worden sei. Wichtig sind die Aufmerksamkeit, die man dadurch bekommt und in der Rolle des Opfers eine gute schauspielerische Leistung abzuliefern.

Ich hatte endlich verstanden. »Also genau so, wie der Höcke von der gesichert rechtsextremen AFD das macht. Nur das die Jette eben noch nicht gesichert linksextrem ist.« 

Meine Frau nickte bestätigend und hielt den Daumen hoch. Wir hatten uns verstanden und das war ein gutes Gefühl.

»Sie wollen nur das korrupte System zementieren!«, konterte Nietzard. Ihre Schilddrüsenüberfunktion schien sie einigermaßen gut im Griff zu haben.

»Ich zementiere höchstens Recht und Ordnung!«

»Ich dekonstruiere ihre Vorstellung von Ordnung!«

»Sie diffamieren ehrenwerte Beamte!«

»Sie romantisieren autoritäre Strukturen!«

»Sie verachten den Staat!«

»Sie halten an ihm fest!«

An dieser Stelle musste der Moderator eingreifen, da Wendt bereits versuchte, mit einem Gummiknüppel zu wedeln, während Jette ein Megafon aus der Tasche zog.

Ich sagte zu meiner Frau: »Das ist keine Debatte. Das ist ein Straßenkampf mit Sendezeit.«

Nach einer halben Stunde hatte niemand seine Meinung geändert, aber alle ihre Followerzahl erhöht.

Ich fragte mich, ob das Universum sich vielleicht einfach aus Höflichkeit noch nicht aufgelöst hatte.

Am Ende der Sendung wurde Jette gefragt, was sie sich wünsche.

Sie sagte: »Eine Welt ohne Repression und ohne Klassen .«

Ich dachte an meine Steuererklärung und flüsterte: »Ich auch.«

Meine Followerzahlen sind schlecht. Deshalb werde ich morgen zum Zeichen des Protests meinen alten, grauen Marken-Anzug anziehen. Darauf steht »BOSS«, was die Abkürzung für »Boomers Officially Still Speaking« ist. Ich erwarte dann einen Shitstorm und den Anruf des Moderators.

 

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