10. My Darm is my castle
Wenn der Stuhlgang zum Fegefeuer wird

Es ist sieben Uhr an diesem Sonntagmorgen. Während sich meine Nachbarn noch traumverloren in ihren Betten räkeln, sitze ich tränenüberströmt auf dem Gäste-WC. Mein schwitzender Körper nimmt Abschied von der Pizza Vesuvio des gestrigen Abend, und das tut weh. So weh, dass ich behaupte, ein Stich in das Herz ist nichts gegen einen Stich in den Sterz, den mir nun jeder einzelne Peperoncino bereitet. Ich starre auf den tropfenden Wasserhahn meines Waschbeckens und verspreche Gott, dem Allmächtigen, den verkalkten Perlator umgehend zu reinigen, wenn er nur alsbald das Fegefeuer in meinem Gesäß löscht. Dabei habe ich ein Gefühl, als würden sich Ströme von Lava an meinem Blinddarm vorbei zum Ausgang wälzen. Ich brauche die Herausforderung der roten Schoten und den anerkennenden Blick von Antonio, meinem Lieblingsitaliener, beim Servieren einer extrascharfen Pizza Diavolo. Meine Frau braucht sie nicht, denn sie scheint zu wissen, was ihrem Enddarm glüht. Aber mit den Jahren ist das bewundernde Augenzwinkern von Antonio zuerst einem hämischen Grinsen und gestern Abend einem mitfühlenden Seufzer gewichen. Er weiß mittlerweile aus seinen eigenen Sitzungen, dass das gewaltbereite Gemüse eine Terrorwelle am Gesäß auslöst. 

Was er nicht weiß, ist, dass wahrscheinlich die Hälfte seiner älteren Gäste unter dem »Es« leidet. Das »Es« ist das Unaussprechliche, über das sich kaum jemand zu reden traut. Krankheiten sind die Trumpfkarten präseniler Gespräche, aber wer würde seinem Nachbarn schon über die Hecke zurufen: »Na, wie sieht »Es«  aus. Hängt »Es« Dir auch zum Hintern raus?« oder »Lebst Du noch oder kratzt Du schon?« Das »Es« juckt und treibt dich beim Einkaufsbummel in den nächsten Hauseingang, wo du dir mit einem beherzten Griff in den Schritt Erlösung zu verschaffen suchst. Das »Es« ist buchstäblich der wunde Punkt auf dem Recaro-Sitz des genervten Porsche-Greises auf der Überholspur, und das »Es« zieht den braunen Schlussstrich unter die Leidenschaft deiner Frau beim Einräumen deiner Unterhosen in die Waschmaschine. Das »Es« weckt Schuldgefühle und deshalb suchst du dein Heil in obsessiver Befreiungshygiene. Dein täglicher Duschgang wird zur Seifenoper und deine brennende Po-Falte zum Crematorium für Hämorrhoiden-Frieden versprechende Cremes. Du schmirgelst dir einen Wolf mit duftender Feuchttuchtechnik und schlussendlich fällt dein hilfesuchender Blick auf den Hochdruckreiniger in deiner Garage. Deiner besorgten Frau gegenüber behauptest du mit gespieltem Stolz: »My Darm is my Castle.« In Wirklichkeit aber stehst du vor lauter Angst und Scham auf dem Schlauch, den du dir endlich in den Enddarm schieben lassen solltest. Ich für meinen Teil weiß, wenn mir mein Allerwertester das Allerwerteste wäre, dann sollte ich ihn an mich heranlassen, den Proktologen, den Seher und schmerzlosen Stecher, der mein Leid mit einigen Injektionen oder einem einzigen Gummiring unterbinden könnte. Aber nicht im Hier und Jetzt und nicht mit mir. 

Meine heutige Sitzung auf dem Feuerstuhl ist beendet und ich mache mich leer und ausgebrannt auf den Weg in die Küche. Mit dem Wunsch nach einem kalten Mineralwasser öffne ich den Kühlschrank und mich trifft der Schlag - da stehen sie, die Zutaten für das heutige

Abendessen. Es gibt - Chili con Carne.

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