Es war Frühling und eigentlich musste ein Paar neue Schuhe für den Sommer her. Angesichts der braunschwarzen Einöde im 44er Tretmöbelregal hatte ich die Motivation verloren und beobachtete eine Szene auf der anderen Seite des Hauptgangs.
Dort stand ein blauer Kinderwagen Typ »Maclaren-Buggy« mit linksseitig angeflanschtem rotem Esprit-Sonnenschirm. In dem Baby-Boliden langweilte sich Paul. Er war vielleicht 15 Monate alt und hatte von dem, was hier gerade geschah, so viel Ahnung wie ein Hühnerhabicht von der Quantenphysik.
Paul brauchte aber Schuhe und die sollte er sich anscheinend selbst aussuchen. »Guck mal, Paul! Was denkst Du? Lieber die festen Schühchen oder doch die Sandälchen?«
Seine unentschlossene Mama wedelte schon eine Zeit lang mit diversen Laufwerkzeugen vor der Nase ihres desinteressiert brabbelnden Lieblingsmenschen herum. Endlich nahte Rettung in Form einer liebenswürdigen Verkaufs-Oma. »Kann ich ihnen behilflich sein?«
Die Mutter atmete erleichtert auf. »Ja, danke. Der Kleine kann sich nicht zwischen den beiden Paaren entscheiden.«
Da gab ich der Mama Recht, denn Schuhe kann man, anders als Spinat, nicht mal eben in Mamas Ausschnitt spucken, wenn man sie nicht mag. Ich wollte gerade hinüberrufen, dass ihrem Junior die Auswahl seiner Schuhe sicher völlig egal sei und dass das wahrscheinlich selbst als erwachsener Mann nicht aufhören würde.
In diesem Moment bog jedoch Papa Paul um die Ecke. »Ist etwas Passendes dabei? Was meint Paul?«
»Ja was dachte er denn, was ein Einundeinvierteljähriger meinen könnte? Dass gebrauchtwindelbraune Schlupfstiefel zu schürfwundenrotem Sonnenschirmchen total angesagt sind?«
Das Kind fing an, mir leid zu tun. Ich wollte soeben die Eltern fragen, was Baby Paul denn bei seiner letzten Steuererklärung für die Familie rausgeboxt hatte, da traf mich der souveräne Blick der Verkäuferin, als wollte sie mir sagen: »Bleib ruhig, Brauner, ich übernehme.«
Mit der psychologisch virtuosen Empfehlung: »Sie sollten jetzt gerade mal nicht ihr Kind um Rat fragen. Es hat heute vielleicht einen schlechten Tag - so wie wir alle einmal«, zog sie ein Paar »Belly Button« Lauflernschuhe aus dem Regal.
Nach einer kurzen Debatte machte sich dann Familie Paul mit ihrer »Maclaren« Formel-Schubs-Karre auf den Weg durch die Schuhboxengasse zur Kasse.
Im Vorbeigehen hörte ich Mama fragen: »Was denkst Du Paul? Sollen wir noch nach ein paar schicken Sommerschuhen für die Mama gucken oder wollen wir schon nach Hause?«
Paul begann zu weinen.
Was folgte, war Papa Pauls punktgenaue Analyse. »Ich glaube, er will bestimmt nach Hause oder er hat vielleicht Durst. Wann hat er das letzte Mal etwas gegessen? Riech doch bitte mal an seiner Windel!«
Da ich mich nicht für ein Paar Schuhe entscheiden konnte, folgte ich dem Triumvirat zur Kasse.
Während ich damit rechnete, dass Paul gleich seine eigene American Express Card zur Zahlung aus dem Strampler ziehen würde, brachte die Mutter ein gequältes: »Wir sollten morgen zum Supermarkt fahren. Paul braucht jetzt dringend seinen Babybrei« heraus.
Das war’s. Ich kam zu der Überzeugung, dass sich diese Eltern einen erstklassigen Familien-Dominator heranziehen würden.
Pauls devote Mutter wird ihren Soja-Macchiato wohl bald auf Ex trinken müssen, weil ihr kleiner Sterntaler nach dem letzten Schluck Babyccino schnurstracks zurück zu seinem Vtech-Laptop will. Zudem beschlich mich die Befürchtung, dass Paul demnächst Papas Geburtstagsparty torpedieren würde, indem er jedes Gespräch der Erwachsenen mit seinen Ü-Ei-Bastelbefehlen in Grund und Boden kommandiert. Und ich malte mir aus, was wohl geschieht, wenn Pauls Mama ihrem dreijährigen Kita-König bei vier Grad plus die Entscheidung überlässt, ob er lieber mit oder ohne Winterjäckchen zur KiTa will, und ihn als Vierjährigem gar vor die Wahl stellt, ob die nächste Urlaubsreise lieber klimafreundlich im Elektroauto oder stilvoll im Jet angetreten werden soll.
Schlussendlich erinnerte ich mich an das neunjährige Mädchen, das seine Eltern mit einem Küchenmesser bewaffnet durch die Wohnung scheuchte, weil sie dem Druck der ständigen Übernahme von Verantwortung für die Familie nicht mehr gewachsen war.
So möchte ich aus dem Bauch heraus manchen Eltern empfehlen, ihren Auto-Aufkleber »Paul fährt mit…« um die Worte »…uns Schlitten« zu ergänzen.
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