20. Das Schweigen der Männer
Über die Sache mit den bekannten Unbekannten

Früher oder später begegnen wir ihm – diesem einen Menschen, der uns mit voller Absicht hintergeht oder nach Jahren vertrauter Freundschaft die Maske fallen lässt. Zurück bleiben Wut, Enttäuschung, Ohnmacht. Und weil wir irgendwie wieder atmen müssen, ziehen wir die letzte emotionale Reißleine: Wir erklären den »Sowieso« oder die »Sowiesa« feierlich zur unerwünschten Person – Einreise in unser Seelengebiet ab sofort untersagt.

So feierten ein ehemaliger Freund und ich im letzten Monat in aller Stille unser 10jähriges Schweigen der Männer. Vor 10 Jahren nämlich lieferten wir uns ein heftiges Wortgefecht, an dessen Ende wir lautstark beschlossen, uns ab sofort nicht mehr zu kennen. Das war völliger Quatsch, denn standen wir uns danach bei einer plötzlichen Begegnung gegenüber, schnaubten wir uns an wie zwei taubstumme Wasserbüffel auf Adrenalin. Zudem scharrten wir mit den Schuhen und rümpften die Nasen wie hasserfüllte Cowboys beim Duell in der texanischen Morgenluft. Liefen wir uns irgendwo über den Weg, wechselten wir spontan die Gesichtsfarbe und die Straßenseite und provozierten dadurch Beinah-Unfälle mit unschuldigen Radfahrern. Irgendwann vollzogen wir einen Strategiewechsel und ab sofort sahen wir demonstrativ durch uns hindurch.  

Aber so sehr ich mich in all den Jahren auch um Gelassenheit bemühte, meine Zündschnur wurde nur mühsam länger. Mir wurde klar, dass es eine Ewigkeit dauert, bis man beim Gedanken an seinen bekannten Unbekannten nicht mehr so verkrampft, dass eine Zwei-Euro-Münze zwischen den Pobacken ihre Prägung verliert. Es fließt auch einiges Wasser den Rhein runter, bis man ihm auf der Straße begegnet, ohne zu hoffen, dass der nächste Dackel ihm beherzt die Wade locht. Und solange nichts schöner ist als die Nachricht, dass er bei »Wer wird Millionär« an der 50 Euro Frage gescheitert ist, kannst du keinem weismachen, dass dir dein Ex-Kumpel wirklich schnuppe ist. 

Aber noch eine andere Sache macht es dir schwer, den inneren Frieden zu finden. Eure gemeinsamen Bekannten geraten zunehmend ins Schwitzen – nicht etwa vor Mitgefühl, sondern weil sie sich bei jeder Einladung fühlen wie UNO-Diplomaten im Nahostkonflikt. Statt ihre Gäste einfach nach Laune und Weinvorrat auszuwählen, müssen sie jetzt strategische Allianzen abwägen und Fluchtwege planen. Dein Versuch, dich über den Todfeind zu beklagen und Sympathisanten zu gewinnen, prallt an ihnen ab wie an einem Stoßtrupp widerborstiger Ignoranten. Schließlich kämpfen sie ihre eigenen Rosenkriege. Also greifen sie im besten Fall zu universellen Friedensformeln wie: »Ihr seid doch erwachsene Menschen« – ein Satz, der bei innerlich brodelnden Ehrenbürgern so beruhigend wirkt, wie ein Kamillentee bei einem Vulkanausbruch. Verhallt dieser Ratschlag dann ungehört, werdet ihr gleich alle beide auf dem nächsten Kamel in die Wüste geschickt. Sicher werden sich deine wahren Freunde deine Story immer mal wieder voller Interesse und Mitgefühl anhören. Aber wenn sie dann zum x-ten Mal mit dem simplen Tipp um die Ecke kommen, den Bösewicht einfach zu vergessen oder links liegen zu lassen, möchtest du sie gleich mit ans Kreuz nageln. Die Sache ist eben nicht so einfach wie sie sagen und auch von ihnen fühlst dich nicht richtig verstanden. 

Fazit: 

Den inneren Gleichmut gegenüber einem Blender oder Blutsauger musst du dir meist selbst erarbeiten – in bitterer Kleinarbeit zwischen Schlaflosigkeit und Selbstachtung. Doch sobald er spürt, dass du ihn endgültig aus deinem Seeleninventar gestrichen hast, detoniert er zuverlässig wie ein  Feuerwerkskörper in einer fröhlichen Silvesternacht.

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