Einen unserer ersten All-inclusive-Urlaube verbrachte ich mit meinen Söhnen in einem Clubhotel auf Mallorca, das fest in britischer Hand war. Kaum hatten wir uns im Zimmer eingerichtet, zog es uns auch schon zur Poollandschaft. Nachdem ich die Jungs pflichtbewusst mit Sonnenöl eingerieben hatte, stürzten sie sich johlend ins Kinderbecken und waren erst einmal verschwunden.
Ich selbst beschloss, mich bei einer Tasse Kaffee unter einem der Sonnenschirme an der Poolbar zu entspannen. Während ich mich umsah, fiel mir eine Reihe weißhäutiger, junger Sonnenhungriger von den britischen Inseln auf. Sie hatten anscheinend auf die notwendige
UV-Schutzcreme verzichtet und verbrannten nun lässig vor sich hin. Bei ihrem Anblick fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit in einem medizinischen Fachblatt gelesen hatte, dass einige Briten keine Sonnenschutzprodukte verwenden, weil sie glauben, dass sie das Bräunen komplett verhindern. Manche würden Sonnenbrände sogar absichtlich herbeiführen, um schneller braun zu werden. Wieder anderen wären die Cremes zu fettig oder lästig, und schlussendlich wären da noch diejenigen, denen der Sonnenschutz einfach zu teuer sei.
Hatten sich an diesem Tag nur einzelne Fans filterfreier Sonnenanbetung gezeigt, so formierte sich am nächsten Tag eine ganze Delegation rund um den Swimmingpool. Beim Anblick dieser tapferen, zügig errötenden Gestalten kam mir der Verdacht, Zeuge einer traditionellen britischen Freizeitbeschäftigung zu sein. Kurzerhand entschied ich mich, diesem unerschrockenen Rösten menschlichen Grillgutes mit dem Begriff Sunbranding einen ehrenvollen neudeutschen Titel zu verleihen.
Am frühen Nachmittag hatten einige der Körper bereits eine tiefrote Farbe angenommen. Trotzdem blieben ihre Besitzer erstaunlich gelassen. So vermutete ich, dass es sich bei dieser sonnenverbrannten Community um stolze Mitglieder der, von einem Lord angeführten, Royal Sunbranding Society handeln könnte.
Als sich einer ihrer älteren Mitglieder an der Poolbar einen Gin-Tonic bestellte, erkundigte ich mich nach der Ursache dieser brennenden Begeisterung für die schmerzhafte Tiefenröte. Mit typisch britischer Distinguiertheit und stoischer Gelassenheit erklärte er mir, dass das von mir als Sunbranding bezeichnete Wagnis dem Umstand geschuldet sei, dass die Briten wegen des notorisch trüben Wetters auf ihren Inseln nur an wenigen Tagen im Jahr in den Genuss hochsommerlicher Verhältnisse kämen. Von daher seien geeignete Abwehrmaßnahmen wie das Sunmilking oder das Sunschirming bei ihnen verpönt und blieben uns Resteuropäern überlassen. Dann fuhr er fort, dass die beste Voraussetzung für ein schnelles und beeindruckendes Sunbranding eine völlig pigmentfreie Haut sei, und dass deshalb gerade die Schotten wahre Meister in dieser Disziplin seien. Schlussendlich schilderte er mir, nicht ohne Stolz in der Stimme, dass es erfahrenen Sunbrandern in diesem zweiwöchigen Trainingslager hier auf Malle sogar gelingen würde, von der ersten Stufe, dem sogenannten Redding, sofort in die dritte Stufe, dem Pelling, zu wechseln, ohne die zweite Stufe, das Browning, zu durchlaufen. Das alles sagte er, ohne dabei rot zu werden, denn die Rötung seiner Haut überließ er allein der Macht der Sonne.
Nach dieser beruhigen Erklärung beobachteten meine Söhne und ich den sportlichen Ehrgeiz von Red-Hot-Chili-Willy aus Glasgow in Schottland. Dank einer viele Stunden dauernden konditionellen Meisterleistung konnte er sich am Abend über ein beidseitiges riesiges Achselbranding freuen. In der beginnenden Dunkelheit sahen wir dann Bademeister Benito, wie er, leise pfeifend, mit seinem Handstaubsauger die Hautschüppchen der leidenschaftlichen Sunpeller von den Sonnenliegen entfernte.
Der nächste Tag brachte dann einen neuen Stern am Himmel der in der Sonne verglühenden Leiber hervor. Fatty-Natty aus Newcastle schaffte es in einem viel bejubelten Alleingang bis auf eine fünfzigprozentige Intensivrötung ihrer Körperoberfläche - und das, ohne dabei ihren typisch britischen Humor zu verlieren. Auf ihren Erfolg angesprochen, tat sie kund, am kommenden Tag, in einem bisher noch nie gelungenen Experiment, sogar eine hundertprozentige Verbrennung ersten Grades erreichen zu wollen. Wir alle waren mächtig gespannt und Benito erklärte sich dann auch bereit, nötigenfalls die verkohlten Reste von Fatty-Natty mit seinem Handstaubsauger zu entsorgen.
Der Tag begann zunächst wie jeder andere in diesem Hotel. Ich beobachtete das feierliche Ritual des englischen Flag-Raisings (Flagge hissen) in seiner modifizierten Form, dem Bathlaking. Denn um Flagge zu zeigen, braucht man in einem Hotel keinen Fahnenmast, sondern herrenlose Sonnenliegen - und davon findet man am frühen Morgen jede Menge. War ich bisher der Meinung, die frühmorgendliche Besetzung von Sonnenliegen sei eine typisch deutsche Urlaubsfreude, so wurde ich in diesen Tagen eines Besseren belehrt. Die Briten sind eine Seefahrernation, und obwohl sie die Hoheit über die Weltmeere längst verloren haben, erheben sie diesen Anspruch zumindest noch über die Weltswimmingpools – jedenfalls dort, wo sie in der Überzahl sind.
Es war 6.30 Uhr in der Frühe. Die Zeit, in der Männer in meinem Alter anfangen, über einen sinnvollen Zeitvertreib während des morgendlichen Toilettenganges nachzudenken. Soll »Mann« lediglich die Tröpfchen des zierlichen Rinnsals zählen, die Tageszeitung und eine Tasse Kaffee mitnehmen oder einfach im Sitzen weiterschlafen? Die gutartige Prostatavergrößerung meldet sich nun mal auch im Cluburlaub – bevorzugt nachts - zur Wassergymnastik. Und wer regelmäßig das Gas aus einem prall gefüllten Zeppelin durch ein stecknadelkopfgroßes Loch nach außen pressen muss, der hat seinen Arbeitstag längst hinter sich, bevor andere überhaupt ans Aufstehen denken.
Also saß ich nach der Morgentoilette völlig erschöpft auf der Terrasse meines Zimmers und beobachtete Red-Hot-Chili-Willy, wie er sich mit vier blauen Badelaken an den Liegen in der britisch besetzten Sunbranding-Area zu schaffen machte. Die von Bademeister Benito fein säuberlich in Reih und Glied aufgestellten Liegen wurden zu einem Kreis - dem Sunbranding-Castle - zusammengerückt. Dabei ließ er fürsorglich eine Schneise für den Weg zur Poolbar bzw. eine Feuerwehr-Rettungsgasse für etwaige Schwelbrände seiner Landsleute frei. Danach begann die Zeremonie des Bathlaking oder auch Toweling.
Red-Hot-Chili-Willy verteilte die vier Handtücher auf die Liegen und beschwerte sie nacheinander mit einem Spongebob-Badetier, der Herald-Tribune, der englischen Ausgabe von Ken Follets Bestseller »Säulen der Erde« und - »was wollte er als Sunbrander denn damit?« - einer Flasche Sonnenmilch.
Gut zwei Stunden später waren alle 200 Liegen rund um den menschenleeren Pool scheinbar von einer Geisterarmee in Besitz genommen worden. Dabei stellten meine Söhne und ich auf dem Weg zum Frühstücksraum fest, dass die englische Beschwerungsliteratur gegenüber den Werken von Uta Danella und Dirk Rossmann eindeutig die Nase vorn hatte. Mir kam unvermittelt der Gedanke, die Hotelshops könnten zur Vermeidung wegfliegender Markierungslaken zum Beispiel schicke, bunte Pflastersteine leihweise oder zum Verkauf anbieten. Damit würden sie uns Touristen komplizierte morgendliche Diskussionen mit der Gattin um geeignete Gewichte ersparen. Auch wären Badehandtücher mit netten Hinweisen wie »Bitte nicht wegräumen, komme nächstes Jahr wieder!« oder »Diese und die nächsten sechs Liegen gehören mir!« sicher ein toller Verkaufsschlager. Aber dies nur nebenbei.
Um 10.00 Uhr trat dann Fatty-Natty auf den Plan. Sie wühlte sich ihre viel zu engen Shorts von den hochroten Beinen, was dem Betrachter die Tränen in die Augen trieb. Damit gab sie den Blick frei auf – nichts! Hatten wir bis gerade noch im Zweifel darüber, ob sie das Vorhaben einer Ultraviolett verursachten Kernfusion ihrer Hautzellen in die Tat umsetzt, so waren wir bei dem Anblick, der sich uns nun bot, dessen absolut sicher. Denn da, wo gestern noch eine normal dimensionierte Badehose zumindest kleine Reste ihres massigen Körpers bedeckte, imponierte jetzt ein weißes Areal - von nichts weiterem bedeckt als einem String-Tanga von der Breite einer Luftschlange. Ich geriet ins Alpträumen. Aber all unseren Hoffnungen auf ein Jahrhundert-Sunbranding zum Trotz wurde uns jetzt die Rolle von Red-Hot-Chili-Willys Sonnenmilch von Liege Nummer vier klar. Er war nicht gewillt, seine eingeäscherte Natty in einer kleinen Urne zurück auf die Insel zu begleiten und konnte sie offensichtlich überreden, sich völlig untraditionell mit Sonnenmilch einzureiben.
Unmittelbar danach beobachteten wir gemeinsam mit den wenigen anderen Europäern von der Schattenseite des Pools, sozusagen von der »Eurozone« aus, wie sich 100 Kilogramm weiß lackiertes, britisches Roastbeef auf den Pool zu bewegten. Mit ihrer schweißig-öligen Haut glich Fatty-Natty einem leck geschlagenen Supertanker. Jedenfalls wollte ich angesichts der nun drohenden Sonnenölpest noch: »Holt die Kinder aus dem Wasser!« rufen. Da hatte Natty es sich aber schon anders überlegt und es bei einem Test der Wassertemperatur mit einer großen Zehe bewenden lassen. Sie schlurfte zurück in das Sunbranding-Castle und ließ sich lustlos auf ihre Liege plumpsen. Wir Schatteneuropäer auf der anderen Seite des Pools atmeten auf, fühlten aber auch irgendwie mit ihr, denn wir spürten, dass bei der sonst so glühenden Sonnenanbeterin heute der Wurm drin war, der Glühwurm sozusagen.
Ich wollte hinübergehen und mich bei ihr bedanken. Wenn neben 500 anderen Badenden auch sie noch den Großteil ihrer Sonnenmilch-Schweiß-Emulsion in das Chlor-Pippi-Gemisch, das sich Poolwasser nannte, gekippt hätte, dann wäre wahrscheinlich gerade mal ein Streichholz nötig gewesen und - Kawumm! Bei Nattys Anblick konnte man zwar nicht unbedingt sagen, dass die Luft raus war - das gaben ihre 120 Kilogramm nicht her - aber sie wirkte doch schwer entmutigt. Ich konstatierte: »Sonnenschutzmittel machen depressiv«, und das konnte ich aufgrund eigener Erfahrungen nachvollziehen.
Meine Frau hatte den Jungs und mir nämlich eine 200 ml Flasche Sonnenmilch - Faktor 50 - eingepackt. Faktor 50! Wer, bitte schön, soll unter dieser klebrigen, fangoartigen Lake in einem 14-tägigen Badeurlaub noch braun werden? Faktor 50 war doch eher ein Bleichmittel und wohl besser geeignet für ein Permanent-Bleeching nikotingelber Frontzähne. Irgendwie lag die Vermutung nahe, dass Michael Jackson - aber lassen wir das.
Ich blickte neidisch nach nebenan auf die makellos braunen Körper von Carlo und seiner hübschen italienischen Familie. Aus ihrer Richtung wehte ab und an der Geruch des Haselnuss-Turbo-Sunbooster-Sprays »Sole Mio« herüber und ich fragte mich ernsthaft: »Was machen die eigentlich hier, die sehen doch aus, als hätten sie die Sonne erfunden?«
Es wurde Mittag. Red-Hot-Chili-Willy versorgte seine vor sich hin reddende Sippe in kurzen Intervallen über seine Rettungsschneise mit Kapstachelbeer-bewehrten Cocktails aus der eigens für die britischen Bedürfnisse auf Hochtouren laufenden Poolbar. Währenddessen verzog sich die gesamte südeuropäische Gemeinde inclusive Franzosen, Italienern, Spaniern und Kroaten zum Mittagessen in das Hotelrestaurant und – wurde trotzdem braun. Frust machte sich breit unter den unverdrossen sprühenden und schmierenden Skandinaviern, Balten, Polen und Deutschen. Das Poolwasser wurde im Laufe des Nachmittags zu einer cremigen Gelatine – immerhin mit Sonnenschutzfaktor 50.
Um 17.30 Uhr begann sich die Poollandschaft zu lichten und gegen 18.00 Uhr lag die Bevölkerungsdichte rund um die wabbelnde, hellblaue Götterspeise mit Kleinkindfüllung dann endlich unter der von Shanghai oder Kalkutta. Ich hatte heute Nachmittag gelernt, dass man in der mallorquinischen Sommerfrische nicht zwischen Süd-, Ost-, Nord- oder Mitteleuropäern, sondern eher global zwischen Weiß-, Braun- und Roteuropäern unterscheiden sollte. Die Weißen, das sind z. B. meine Söhne und ich, die Braunen, das sind die mit dem Haselnuss-Sunbooster-Spray, und die Roten, das sind die, bei denen jedes Sonnenschutzmittel eher wie ein Brandbeschleuniger als ein Sunblocker wirkt. Gegen 18.15 Uhr beschloss nun auch die letztgenannte Kolonie cocktailseliger Roteuropäer, die Grillplatte bzw. ihr Castle zu räumen, allen voran Fatty-Natty. Sie streifte sich ein eigentlich hübsches, blaues Pop-Art-T-Shirt mit dem Konterfei einer Marvel-Comic-Heldin über, deren Kopf jedoch ein greller Blitz mit dem weithin sichtbaren Schriftzug »Bääng« zierte. Wir verbliebenen Badegäste spürten beim Anblick dieses schicksalhaften T-Shirts mit dem bunten Blitz, dass Natty die Idee ihrer eigenen Kernschmelze nicht aufgegeben, sondern nur auf einen späteren Zeitpunkt verlegt hatte.
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