Nach meiner ersten Heiligen Kommunion im Jahre 1968 wurde ich – zur Freude meiner erzkatholischen Großmutter und zur Förderung meines geschäftlichen Talents im Bereich vorösterlicher Eierlogistik – feierlich in die elitäre Messdienerschaft sowie die Hülser KJG aufgenommen. Ich verstand zwar nicht ganz, was man da tat, aber das störte mich wenig. Hauptsache ritueller Ruhm und Hühnereier. Hühnereier waren profitabel – selbst wenn der Gewinn nur einmal im Jahr und in begrenzter Stückzahl anfiel. Für meine Oma waren diese Eier der Ausdruck meiner religiösen Leistungsfähigkeit und der tiefen Gottesfurcht unserer Gemeinde.
Unsere Pfarrkirche St. Cyriakus war damals noch eine Art göttlicher Veranstaltungspalast und wir Messdiener performten regelmäßig vor ausverkauftem Haus. Dabei wetteiferten wir nicht nur um Weihrauch und Ehre, sondern auch um strategisch bedeutsame Diensttermine. Besonders beliebt war das sonntägliche Hochamt um 11 Uhr. Nicht etwa, weil dort der Heilige Geist besonders kräftig wehte – nein, dort saß Monika.
Monika. Blonde Locken, unschuldiger Blick, himmelblaue Augen. Erste Reihe. Kinderbank. Für mich war sie eine Kombination aus Marienerscheinung und Hollywood-Kinderstar. Wenn sie mich während des Evangeliums ansah, hatte ich regelmäßig das Gefühl, gleichzeitig zu sündigen und selig zu sein. Es kam vor, dass ich während der Wandlung vor lauter innerer Wallung das Glöckchen wie eine Mischung aus Fliegeralarm-Sirene und Karnevals-Trömmelche betätigte.
Doch dann kam Pfingsten. 1970. Ein Sonntag wie aus dem Kirchenkalender gemalt. Die Sonne warf durch die Buntglasfenster ehrfurchtgebietende Farbspiele auf das Mosaik des Bodens, als wollte sie dem Gottesvolk eine Lightshow spendieren, und der Weihrauch kräuselte sich um den Altar, als sei gleich Premiere von »König der Löwen« – in der Domschiff-Edition.
Während der Gabenbereitung schüttet der Messdiener aus zwei kleinen Kännchen in einem ersten Durchgang zunächst nur Wein, im zweiten Durchgang dann Wein und Wasser in den Kelch des Priesters. Dabei durfte es für einige unsere Kaplane gerne etwas mehr Wein und wenig Wasser sein. Unser damaliger Dechant hingegen bevorzugte die minimalistische Variante mit jeweils einer klitzekleinen Menge Wasser und Wein. Von der durch die Kirchenfenster einfallenden Sonne und der Schönheit der kleinen Monika geblendet, kippte ich an diesem Sonntag das komplette Kännchen Messwein beim ersten Akt in den mir vom Dechanten angebotenen Kelch. Auf einmal. Ohne Vorwarnung. Ohne Wasser. Volle Dröhnung. Der war nun gezwungen, den heiligen Humpen auf Ex zu trinken, was ihm im Gegensatz zu manch einem unserer Kaplane sichtlich schwer fiel. Man sah ihm an, dass er lieber ein ganzes Kapitel aus dem Alten Testament auswendig gelernt hätte. Bei der folgenden Wein und Wasser Variante mühte ich mich redlich, dem Kännchen den allerletzten Tropfen abzuringen. In meinem Eifer schepperte das gute Stück jedoch gegen den Heiligen Gral, woraufhin dieser – ganz und gar unheilig – der Hand unsere Dechanten entglitt. Mit einem ordentlich Rums knallte er auf den Altar und drehte dort zunächst mal eine Ehrenrunde, bevor unser Dechant das gute Stück wieder unter seine Kontrolle bekam. Der Kelch war so leer wie der Klingelbeutel vor der Kollekte. Wo kein Wein, da keine Wandlung und die Eucharistie für die Katz. Stille. Ein entsetzter Blick des Dechanten. Einige ältere Damen bekreuzigten sich hektisch, vermutlich aus Angst, der Weltuntergang sei eingeleitet worden – durch mich. Eine Wolke zog über die Kirche, verdunkelte das Gotteshaus, und ich war mir sicher, dass in diesem Moment mindestens drei Heilige simultan vom Sockel kippten. Ich bin mir auch sicher, dass nach dieser Messe mehr Kerzen als für gewöhnlich am Opferstock entzündet worden waren.
Nachdem unser Dechant seine Fassung wiedergewonnen hatte, lud er mich für die kommende Woche zu einer ausführlichen Beichte ein und fortan tat ich Buße, indem ich meinen Dienst in der
bei uns Messdienern unbeliebten Frühmesse um 8.00 Uhr morgens verrichten musste. Nein, die kleine Monika folgte mir nicht auf meinen ganz persönlichen Kreuzweg zur nachtschlafenden
Zeit. Ihr Platz in der Kinderbank blieb leer und folglich auch irgendwann ihr Platz in meinem Herzen.
Meine Einsicht: Wo Messwein fließt, ist Vorsicht geboten. Besonders bei Sonnenschein und blonden Mädchen in der ersten Reihe.
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