Heute ist es wieder soweit - Oktoberfest. Und zwar mit allem, was dazu gehört. Nur nicht geografisch korrekt. Statt Wiesn-Gaudi unterm Bavaria-Monument schunkeln wir heute im ehrwürdigen Festsaal »Zum Hirschn«. Der heißt eigentlich »Goldener Hirsch« und fällt außerhalb der Trachtensaison eher durch rheinische Karnevalsgesänge als durch Blasmusik und Brezn auf. Aber was soll ich sagen? Irgendwann hat uns Nordrhein-Westfalen der Bazi-Bazillus erwischt – eine feucht-fröhliche Mischung aus Brauchtum, Bierseligkeit und Selbstverleugnung. Seitdem verwandelt sich mein innerer Rheinländer einmal im Jahr in eine Art bajuwarischen Folklore-Berserker – mit Gamsbart im Herzen und Dirndln im Hirn.
Und da liegt sie wieder auf dem Bett. Steif wie ein Brett – ehrlich und einschüchternd. Die »Tracht der Wahrheit«. Eine Hose wie eine innere Haltung. Krachlederne Erkenntnis mit Hosenträgerpflicht. Denn ja: Ich bin bereit für mindestens fünf Halbe und ein Kilo Schweinshaxe lang jemand anders zu sein. Ein niederrheinisch-bayrischer Naturbua, der mit der Maß in der Hand und dem Jodler auf den Lippen gegen jede Form von Alltagsidentität antrinkt. Heute zählt nur eins: »Mia san Mia im Hirschn« – und ich bin mittendrin statt nur dabei.
Es ist seltsam. Immerhin gröle ich elf Monate lang im Chor mit den anderen flachdeutschen Fußballfans: »Zieht den Bayern die Lederhosen aus.« Aber so, wie die fesche Trachtenmode selbst eine ostfriesische Watt-Walküre in eine allerliebst anmutende Geierwally verwandelt, so verleiht mir die Lederhose das Gefühl, ein kraftstrotzendes Teilzeit-Mannsbild zu sein. Durch diese Hosenträger samt rot-weiß kariertem Hemd wird mein Waschbeckenbauch zum attraktiven Voralpenspoiler und mein Garderobenspiegel zum Testosteronspiegel. Heute Abend wechsle ich auf die weiß-blaue Seite der Macht. Ich konvertiere zum Schuhplattl-Ritter und werde sie mir geben, den Leberkäse und die Leberschwellung. Ein wenig Sorge bereitet mir die unvermeidliche Sturzentwässerung nach der Wiesnbier-Betankung. Immerhin hat sich schon so mancher Personalchef gemeinsam mit seinem Mitarbeiter bei dem Versuch, auf der Herrentoilette die von Hirschhornknöpfen gesicherten Hosenlatze zu öffnen, durch sämtliche Gehaltsverhandlungen fürs kommende Jahr geschwitzt – im Stehen, mit randvoller Blase und sorgenvollem Blickkontakt.
Aber wo auch immer die Verbrüderung stattfindet, das Oktoberfest verbindet auf unerklärliche Weise die Möchtegern-Bayern dieser Erde. Oktoberfest, das ist in den Augen der Welt die deutsche Antwort auf den Weihnachtsmann und Halloween, die von den USA aus die Welt eroberten. Ja, ich bin stolz auf Holdrio in Tokio und Gabalier in Santa Fe. Beim Oktoberfest jodelt man vom Yukon bis nach Yokohama und ich stelle mir vor, wie selbst der übelste südamerikanische Drogenbaron beim Koksverpacken leise den Schneewalzer pfeift. Auch wenn das Oktoberfest manch einem narrischen Watschengesicht die Gelegenheit zum alkoholisierten Rückfall in vorzivilisatorische Unsitten und Missbräuche verschafft, so ist es doch in seinem Wesen nicht nur äußerlich ein Fest der Freude und Verbundenheit unter Gleichgesinnten. Und was die Friedenstauben nicht geschafft haben, das erreichen vielleicht die Friedensbrathendl. Ich für meinen Teil hoffe jedenfalls, so wie Michail Gorbatschow dereinst für einen Teller Pfälzer Saumagen die deutsche Einheit durchwinkte, so könnten irgendwann Kim Jong Un, Kim Jong Dos oder spätestens Kim Jong Tres ihre Atomraketen gegen eine Portion Weißwürstl mit süßem Senf eintauschen und ihre Nordkoreaner zum Paulaner bekehren. O’zapft is all over the World und das passt scho!
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