5. Unsere Mitarbeiter sind alle in einer Schiesserei
Gedanken über einen Telefonansage-Service bei der Polizei

Heute Nachmittag hatte ich versucht, das überfüllte Eisfach meiner Kühl- und Gefrierkombination mit Gewalt zu schließen. Dabei war ein dünner Kunststoffstift am Scharnier der Eisfachklappe gebrochen. Nachdem ich die Klappe mit zwei links und rechts angebrachten Streifen Panzerband notdürftig befestigt hatte, suchte ich Rat bei der Hotline des Herstellers.

Der Begriff »Hotline« verspricht eigentlich schnelle Hilfe – doch wie so oft handelte es sich eher um eine »Waitline«.

Aus meinem Handy kam ein krächzendes Geräusch, das ich bei genauem Hinhören als Musik identifizierte. Dann folgten ein Piep und danach die sachliche, aber seelenlose Ansage einer weiblichen Computerstimme. »Unsere Mitarbeiter befinden sich zurzeit alle im Gespräch. Ihre geschätzte Wartezeit beträgt - Piep - 10 Minuten. Sie sind an Position - Piep - 5.« Diese Stimme machte machte mir klar, dass ich wahrscheinlich den Rest des Nachmittages mit ihr und etwa 16 Takten der alten Frank-Sinatra-Ballade »And now, the End is near« verbringen würde. Nein - das Ende war nicht nah und das erlebte ich nach meiner Autoversicherung und dem Finanzamt in dieser Woche schon zum dritten Mal. Warteschleifen suggerieren dem Kunden hektische, aufopfernde Betriebsamkeit. Dabei sind sie wohl eher Zustandsberichte unterbesetzter Dienstleister im - Piep - egal Modus. Umso wenig Lebenszeit wie möglich zu vergeuden, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich mit irgendetwas Sinnvollem zu beschäftigen.

Vor dem Gesetz und in der Warteschleife sind alle Menschen gleich. Sie unterscheiden sich nur durch ihren Umgang mit der Machtlosigkeit. Friedfertige Charaktere erledigen ihren Abwasch, schmücken den Weihnachtsbaum oder zeugen ein Baby. Ich hingegen gehöre zu den Ungeduldigen, den Verzweifelten, ja sogar zu den Gewaltbereiten. Als ich vor einiger Zeit mit einem befreundeten Psychologen über dieses Problem sprach, verriet er mir, dass er eine Sprechstunde eigens für die Opfer von Warteschleifen eingerichtet hätte und dass sie völlig überlastet. Für Hitzköpfe wie mich sei es das Beste, der aufkeimenden Mordlust durch das Zerstückeln von Kartoffeln oder dem Zerhacken von Zwiebeln freien Lauf zu lassen. 

Getreu seiner Empfehlung stellte ich also mein Handy auf laut, legte es zur Seite und holte ein Kilo Kartoffeln und eine Zwiebel aus dem Keller. Dann machte ich mich über das unschuldige Gemüse her. Nach einigen Minuten wurde ich tatsächlich gelassener, sogar schläfrig und es wurde mir schon fast egal, dass ich mit: »Ihre geschätzte Wartezeit beträgt - Piep - 15 Minuten. Sie sind an Position - Piep – 7« aus unerklärlichen Gründen nach hinten gerutscht war. Die Ignoranz Die Ignoranz des dienstleistenden Gewerbes hatte mich anscheinend wahnsinnig gemacht. Nur wegen ihr gab es nun schon zum dritten Mal in dieser Woche Bratkartoffeln und dabei war es erst Donnerstag. 

In diesem Moment weckte mich das Martinshorn eines vorbeifahrenden Streifenwagens mit ohrenbetäubendem Tatütata aus meiner Lethargie. So kam es, dass ich mir unvermittelt einen 0800110 Ansagedienst der Polizei vorstellte. 

Zunächst würde mir die Titelmelodie aus der Tatort-Reihe signalisieren, mit wem ich verbunden bin. Danach dann die deutsche Synchron-Stimme von Bruce Willis: »Yippiyayeh Schweinebacke. Herzlich willkommen bei der Notfall-Hotline Deiner örtlichen Polizeibehörde. »Willst Du einen Mord melden, drücke bitte die Eins. Bei Bankraub ohne Geiselnahme drücke bitte die Zwei. Bei Bankraub mit Geiselnahme drücke bitte die Drei. Bei gefährlicher Körperverletzung, Menschenhandel oder Vergewaltigung drücke bitte die Vier. Wünschst Du eine Beratung durch eine uniformierte Servicekraft, drücke bitte die Fünf. In allen anderen Fällen wie z.B. Einbruch, Diebstahl oder Verkehrsunfall, benutze bitte das Anzeigenformular für Dein jeweiliges Wunschdelikt in unserem Online-Shop. Im Weiteren möchten wir Dich auf die Vorteile unserer interaktiven »YouBulle«-App hinweisen. Melde fünf Falschparkvergehen und werde Mitglied in unserer Premium-Hundertschaft. Als solches erhältst Du ein Jahr lang kostenlosen Zugriff auf »Copsdome«, dem Livestream Deines Polizeireviers, und nimmst live und hautnah an Fahndungen, Festnahmen, Verhören und Verurteilungen Deiner Lieblingsganoven teil. Wir weisen Dich abschließend darauf hin, dass einzelne Anrufe zur Verbesserung unserer Servicequalität vom Verfassungsschutz aufgezeichnet werden können.«

Würdest Du dann eine der oben genannten Nummern wählen, käme, was kommen muss, und das heißt – Warteschleife! Wieder die Musik von Tatort, diesmal unterbrochen durch die Stimme von Kommissar Schimanski. »Typisch. Keine Haare am Sack, aber im Puff drängeln. Unsere Mitarbeiter befinden sich zurzeit alle in einer Schießerei. Sobald wie möglich werden wir Deinen Anruf an einen unverletzten Kollegen weiterleiten.« 

Nach zwanzig Minuten dann der Rauswurf durch Telly Savalas. »Entzückend Baby. Leider hat das gesamte Präsidium für heute die Nase voll. Du kannst uns aber nach dem Schussgeräusch aus der 45er eine Nachricht hinterlassen. Wir weisen Dich vorsorglich darauf hin, dass Du gemäß Paragraph 55 der Strafprozessordnung das Recht hast, zu schweigen. Solltest Du davon Gebrauch machen wollen, dann sprich bitte ein deutliches »Ja« nach dem Tatütata. Andernfalls kann alles, was Du sagst, gegen Dich verwendet werden. Du hast das Recht auf einen Anwalt. Wenn Du Dir keinen leisten kannst, dann wird Dir die Bundesrepublik Deutschland kostenlos einen Pflichtverteidiger zur Seite stellen. Und jetzt nerv‘ uns nicht länger und mach‘ ‚nen Abflug - Baby.« 

Ich war fertig. Allein die Vorstellung, dass ich mich in meiner Not nicht mehr einem erfahrenen Beamten, sondern einem seelenlosen Automaten anvertrauen müsste, bereitete mir einen Herzkasper. Ich konstatierte - wer jemals aus Personalersparnis ernsthaft an die Einführung derlei Technik bei der Polizei denken sollte, der gehört in Einzelhaft mit der permanenten Ansage von Hannibal Lecter: »Soll ich Sie an einer Warteschleife für Kühl- und Gefrierkombinationen aufhängen, dann drücken sie bitte die Eins. Wünschen Sie, als Hauptgericht an meinem Buffet teilzunehmen, dann drücken Sie bitte die Zwei.«

Fürs Erste hatte ich genug. Ich schaltete unverrichteter Dinge das Telefon aus und widmete mich den Bratkartoffeln. Stunden später, nach dem Abendessen, klingelte mein Handy. Als ich ranging, meldete sich eine freundliche Männerstimme. »Nord-Süddeutsche Landesbank. Sie sprechen mit Arno Meier. Sie hatten heute Nachmittag versucht, uns zu erreichen. Was kann ich für Sie tun?« 

Ich war entsetzt, denn offensichtlich hatte ich mich - verwählt. 

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