So wie heutige Jugendliche haben dereinst sicher auch flügge gewordene Neandertaler ihre Eltern verlassen, um eine eigene Horde zu gründen. Ob die Neandertaler Eltern in der freigewordenen Nische der Höhle ein Bügelzimmer einrichteten, ist noch nicht abschließend geklärt. Auf jeden Fall aber taten dies meine Urgroßeltern, Großeltern und - meine Mutter.
Sie hatte nämlich bis in die achtziger Jahre hinein ein Bügelzimmer, dessen Einrichtung dem
Film »Manta Manta« alle Ehre gemacht hätte. Eine der Wände war in einem überaus geschmackvollen Mix aus Orange, Braun und Grün tapeziert. Diese Wand zierte ein typisches 60er Jahre Regal aus zwei Drahtleitern und drei teakfurnierten Regalbrettern. Auf dem Regal vergilbten einige der ehrwürdigen Werke klassischer Jugendliteratur: Winnetou I – III, die Schatzinsel, Moby Dick und die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn.
Darunter stand ein weißes Schleiflack-Sideboard, auf dem meine selbstgebauten Plastikmodelle amerikanischer Flugzeugträger vor sich hin dümpelten. In diesem Sideboard verbargen sich ein Dual-Koffer-Pattenspieler mit weißen Deckellautsprechern sowie etliche Langspielplatten von Deep Purple, Pink Floyd und vielen anderen Rocklegenden der Siebziger Jahre. An der Wand über meinem Bett prangten – wie zwei Ikonen aus völlig unterschiedlichen Glaubenssystemen – ein lebensgroßer Elvis-Starschnitt aus der »Bravo«, mit schmachtenden Augen und fettiger Haartolle neben einem Poster des kubanischen Revolutionsführers Che Guevara mit visionärem Blick und wirrem Struwwelhaar.
Nein, ein Rock-Groupie ist meine Mama nie gewesen. Auch der Wunsch, ein Flugzeugträgerkapitän oder ein zähnefletschender Revolutionsführer zu sein, war dieser friedliebenden Frau so fremd, wie der Fuchsschwanz an der Antenne meines Mantas.
Wenn erwachsene Kinder sich auf den eigenen Weg machen, lassen sie zunächst einmal das meiste von ihrem persönlichen Kram und oft auch das verzweifelte: „Du kannst jederzeit
wieder in Dein altes Zimmer“ Angebot ihrer Eltern zurück. Deshalb plättete meine Mutter ihren wöchentlichen Bügelberg tapfer im unveränderten Allerheiligsten meiner rebellischen Jugendzeit. Das, obwohl ihr das Bouquet meiner pubertären Schweißfüße noch Monate nach meinem Weggang das Gehirn vernebelt haben muss.
Wenn eine Familie ein halbes Leben lang jeden Winkel ihrer Wohnung nutzen musste, lässt sich dauernder Leerstand nicht gut aushalten. Von daher reden sich viele Eltern ein, man könnte das ehedem so liebevoll eingerichtete Kinderparadies nun endlich in das heißersehnte Bügel- oder Gästezimmer umfunktionieren. Aus sentimentaler Rücksichtnahme bleibt erst einmal Alles beim Alten. Als mir meine Mutter dann irgendwann freudig verkündete, sie hätte meine Pornohefte-Sammlung gefunden und fürsorglich zum Mitnehmen auf die Küchenanrichte gelegt, spürte ich – es wird nie mehr so sein wie früher.
Danach wurde es malerisch. mein altes Bett zierte plötzlich die geblümte Tagesdecke meiner
Großtante Klara. Und an der Wand, an der früher das Konterfei Che Guevaras mit »Viva la Revolución« strahlte, bedrohte mich nun Tante Agathes düstere Kopie von Albrecht Dürers »Der Mann mit dem Goldhelm« mit seinem bösen Blick.
Nach dem ersten Schock atmete ich auf. Als ich nämlich sah, dass mein selbstgeschraubtes Billy-Regal mit einem »Gruß aus Venedig« Murano Glas und einer Sammlung mittelalterlich
anmutender Zinnkrüge vollgepfropft war, fühlte ich, dass meine Eltern sich nun endlich von mir abgenabelt hatten.
Aber bei diesem Prozess in Richtung Selbstverwirklichung ist manchen Eltern der ideelle oder materielle Wert jugendlicher Hinterlassenschaften – bei allem guten Willen – nicht immer wichtig. So landete die heißgeliebte philosophische Enzyklopädie meiner Ehefrau in einer brasilianischen Klosterbibliothek und meine Kollektion historischer Kriegsschiffe musste auf Geheiß meiner erzkatholischen Großmutter einem »Souvenir aus Lourdes« Hausaltar mit integriertem integriertem Weihwasserschälchen weichen.
Heute würde ich nur allzu gerne meinen alten Che Guevara oder den Elvis-Starschnitt in das bald freiwerdende Kinderzimmer meines Sohnes hängen. Aber leider sind diese Symbole meiner Jugend auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Deshalb mein Rat an die jetzt flügge werdende Generation: »Passt gut auf Eure »Shawn Mendes« oder »Zac« Poster und die alte X-Box auf. Nicht heute oder morgen, aber irgendwann braucht Ihr sie vielleicht für Euer Bügelzimmer.«
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.