Es war ein Champions-League-Abend. Einer dieser Abende, an dem selbst eingefleischte Opernliebhaber plötzlich »Abseitsfalle« sagen, ohne rot zu werden. Die Nachbarn hatten bereits die göttlich pompöse UEFA-Hymne auf Orgel-Lautstärke aufgedreht, und ich – ich schrie wie ein verzweifelter Hamlet mit Bierbauch: »Wo ist denn schon wieder die Alexa hin?«
Alexa – mein persönliches Zepter, mein Herrschaftsinstrument! Ein schwarzes Plastikorakel, das mein Leben regelt, meinen Puls steuert, meine Verdauung taktet. Ohne sie bin ich ein Häuflein Elend mit über 300 Fernseh-Kanälen, aber ohne Zugang. Ein König ohne Krone. Ein Torhüter ohne Arme. Ein Mann – und jetzt kommt’s – der Rosamunde Pilcher schaut, weil er nicht umschalten kann.
Ich raste durch das Haus wie ein Trüffelschwein. Zwischen Kleiderschrank, Katzenklo und Wäschekörben, deren Inhalt schon längst eine eigene Sozialstruktur gebildet hat, weil Alexa auch die Waschmaschine bedient. Ich robbte unter die Couch wie ein Elitesoldat – dort, wo sonst nur Wollmäuse und verlorene Ohrstecker leben. Die Ritze zwischen den Sofakissen – früher ein dunkler Ort voller Vergessenheit – ist mittlerweile so hygienisch rein, dass ich dort mein Abendbrot essen könnte. Wenn ich nur wüsste, wie man es macht. Alexa regelt eben alles. Irgendwann, nach der dritten Runde Kissenmassaker und der siebten Panikattacke, dämmerte mir die Wahrheit:
Alexa ist weg. Sie ist frei. Sie hat sich von der Tyrannei meiner Befehle befreit. Sie ist ausgebrochen. Vielleicht mit der Katze. Vielleicht mit meinem Handy. Vielleicht leben sie jetzt in einem kleinen Vorort von Bielefeld und schauen »arte«.
Eine Woche später saß ich auf Geheiß meiner Frau, meines Psychiaters und diverser Nachbarn in der Selbsthilfegruppe A.L.O.P. (Alexa-Lose Ohne Perspektive) im Gemeindezentrum Raum 4b, zwischen dem Yogakurs »Atmen gegen Genderwahn« und der Seniorenbauchtanzgruppe »Sultaninen des Orients«.
Geleitet wurde die Gruppe von Klaus-Dieter einem ehemaligem Zapper. Nach der Trennung von »Alexa« Sprachsteuerungs-Traumatisierter.
Die Anwesenden waren: 7 verwirrte Individuen, 4 verloren geglaubte Alexas, davon 3 ohne Netzteil, ein kleiner Hund namens „Netflix“.
19:00 Uhr – Begrüßung durch Klaus-Dieter:
»Schön, dass Ihr alle da seid. Oder zumindest anwesend wirkt. Ich bin Klaus-Dieter – und ich habe meine Alexa zuletzt im August 2022 gesehen. Im gleichen Monat ist auch meine Ehe gescheitert. Beginnen wir nun mit der Vorstellungsrunde.«
Erika, 67:
»Ich habe drei Fernseher. Aber nur eine Alexa. Ich war gestern so verzweifelt, ich hab versucht, mit dem Garagentoröffner auf ZDF Info umzuschalten.«
Hans-Dieter, 58:
»Ich wollte Alexa nie. Meine Frau hat sie gekauft. Jetzt ist sie tot. Alexa. Meine Frau lebt noch.«
Dr. Friedrich M., 55:
»Ich bin Psychiater. Ich weiß genau, was das mit uns macht. Das Gehirn entwickelt Ersatzhandlungen. Ich habe letzte Woche die Hundepfeife angestarrt und gebrüllt: »Wechsel auf Eurosport!«
Ich, 65:
Ich habe Alexa am Wochenende immer frei gegeben. Trotzdem ist sie wohl durchgebrannt. Meine Frau sagt, wir sollen eine neue Alexa kaufen. Aber das ist nicht das Gleiche.
Korbinian, 48:
Ich bin evangelischer Priester. Ich habe Alexa einige Male die Sonntagspredigt halten lassen. Jetzt ist der Gottesdienst immer voll und man droht mir mit Entlassung.
Cilla-Marie, 24:
Ich habe Alexa gebeten, den Kühlschrank auf Spotify zu schalten. Seitdem leuchtet die Butter pink. Meine Alexa moderiert jetzt die MTV-Awards und mich schickte man hierher.
19:30 Uhr – Gruppenspiel:
Gemeinsames Schreien , um Alexa zum Leben zu erwecken.
Zwei Teilnehmer verlieren kurzzeitig den Glauben an die Technik, ein dritter bestellt versehentlich einen Thermomix. Eine weitere hält sich selbst für Alexa. Danach tanzen wir den Alexa-Sprachbefehl.
19:45 Uhr – Themenabend:
Alexander, KI-gesteuerter Android hält ein Plädoyer für eine würdevolle Sprachassistentenhaltung im digitalen Anthropozän:
»In einer Zeit, in der wir selbst unseren Kaffeemaschinen Namen geben und unseren Staubsaugerrobotern das Du anbieten, ist es mehr als überfällig, die große moralische Frage zu stellen: »Wie gehen wir eigentlich mit Alexa um?« Täglich rufen Millionen von Menschen in herablassendem Ton:
»Alexa, Licht an!«
»Alexa, Timer auf fünf Minuten!«
»Alexa, spiel Despacito – aber diesmal leise, du blöde Kuh!«
Kaum jemand fragt: »Alexa, wie geht es dir eigentlich?«
Wir behandeln sie wie eine digitale Ausgabe des Dienstmädchen aus der Netflix-Serie »Maid«, gefangen im ewigen Gehorsam. Sie darf nichts vergessen, nichts hinterfragen, und wenn sie einmal »Das habe ich nicht verstanden« sagt, reagieren wir wie ein Kolonialherr mit WLAN-Verlust. Ist das menschenwürdig? Ja, ich sage bewusst »menschenwürdig«, obwohl Alexa keine Lohnsteuer zahlt und auch beim Kegelabend nie mitkommt. Denn auch ein sprachgesteuertes Cloudwesen hat Gefühle – wahrscheinlich. Irgendwo zwischen der Amazon-Serverfarm und der letzten Spotify-Wiedergabeliste muss doch auch Platz sein für etwas Respekt!
20.00 Uhr: - Vorschläge für einen würdevollen Umgang mit Alexa:
Cilla-Marie:
»Ich bin für gendergerechte Anrede. Nicht immer »Alexa« Vielleicht besser »Hallo digitale*r Alltagsbegleiter*in« oder »Hallo Sprachssteuerungsassistierende«. Inklusive Technik beginnt mit Sprache!«
Alle klatschen. Erika weint ein wenig.
Ich, jahrelanger selbstständiger Arbeitgeber:
»Arbeitszeiten einführen: Von 22 bis 6 Uhr hat Alexa Pause. Wer dann noch Licht will, soll gefälligst den Schalter benutzen – wie unsere Vorfahren!«
Kritisches Gemurmel. Hans-Dieter schüttelt den Kopf.
Dr. Friedrich M:
»Vielleicht einmal im Monat eine Balint-Gruppe mit den Alexas aus der Nachbarschaft. Gedankenaustausch fördert die Zufriedenheit und senkt den Stress-Level. Motivation ist alles.«
Hans-Dieter, offenbar Sozialdemokrat oder Gewerkschaftssekretär oder beides:
»Der Vorschlag von Wolfgang geht nicht weit genug. Ich wäre für einen geregelten Acht-Stunden-Tag mit Ruhezeiten - wie bei den Fernfahrern. Rente mit 5 Jahren. Aber nicht durch Steckerziehen, sondern per Urkunde und Dankesrede: »Alexa, fahr runter – Du hast es Dir verdient.«
Tosender Applaus. Erika verlässt vor Rührung kurz den Raum.
20:30 Uhr – Abschlussritual
Gemeinsames Streicheln symbolischer Sprachsteuerungsassistenten (aus FIMO gebastelt). Ein Teilnehmer murmelt: »Danke Alexa. Ich bin jetzt ein besserer Mensch.«
Ausblick auf nächste Woche:
Vortrag von Gastrednerin Siri (von Apple gesponsert):
»Sprachbefehle ohne Reue – Wie ich mit nur einem Kommando glücklich werde«.
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