Ich glaube, dass fast jeder von uns schon einmal die Erfahrung gemacht hat, dass man im Urlaub plötzlich die aus den Augen verlorene Ex-beste-Freundin, einen längst vergessenen Schulkameraden oder einen ehemaligen Kollegen wiedertrifft. Das sind dann die schönen und unvergesslichen Zufälle des Lebens. Weniger schön, zumeist seltener, aber genauso unvergesslich wäre der Zufall, bei dem man in Begleitung seiner Ehefrau vierzehn Tage lang im selben Hotel logiert wie die Frau, die man einst für seine Ehefrau verlassen hat. Weit häufiger scheint mir jedoch der Zufall zu sein, dass man auf den ungeliebten Vorgesetzten oder einen stressigen Kunden trifft. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, erhöht sich mit zunehmender Entfernung vom Heimatort. Ich bin mir sicher, wenn du heimlich in den Himalaya reist, um zum Beispiel einem Menschen aus dem Weg zu gehen, der dich letzte Woche noch genervt hat, triffst du auf dem Mount Everest genau zwei Personen - nämlich den Yeti und den Menschen, der dich letzte Woche noch genervt hat.
So erging es mir mit Pitter.
Vor ein paar Jahren hatte ich mich in ein kleines Hotel an der mallorquinischen Nordküste zurückgezogen, um mich einmal weit weg von Beruf und Familie für eine Woche aus dem Verkehr zu ziehen. Ich brachte meine Koffer aufs Zimmer und beabsichtigte, nach dem Auspacken ein bisschen schwimmen zu gehen. Nach einem mächtigen Sprung in den kleinen hoteleigenen Pool rammte ich beim Auftauchen - Pitter.
Der kleine Mann dümpelte mit seiner gewaltigen Hertha zufällig im selben Gewässer und geriet bei meinem Anblick aus dem Häuschen. »Nee - wie schön. Hertha, guck mal – unser Doktor is auch hier. So ein Zufall. Sind Sie etwa alleine da?« Dabei hielt er über meine Schulter hinweg Ausschau nach einer jungen, Tanga tragenden, Affäre meinerseits.
Ich war entsetzt. »Guten Tag zusammen. Ja, ich bin alleine hier, was dachten Sie denn?«
Mit einem Augenzwinkern entgegnete er: »Ja, man weiß et ja nich, oder? Möglich ist ja alles heutzutage. Un meine Hertha un ich haben es uns zur Aufgabe jemacht, auf unseren Hausarzt aufzupassen. Schließlich brauchen wir Sie ja noch ein paar Jahre, oder?«
Pitter hatte bei mir wegen seines chronischen Rückenleidens mit viel Brimborium und Penetranz ein Dauerrezept für Massagen durchgesetzt. Seine Hertha war eigentlich noch gesund, hatte aber vor vielen Jahren eine Verordnung über einen Gehstock im Sanitätshaus gegen einen wunderschönen Regenschirm eintauschen können. Von daher pokerte sie vielleicht darauf, noch einmal einen ähnlichen Coup landen zu können.
Pitter brabbelte munter drauflos. »Majorca is ja schön, nich wahr? Aber am Strand unten hat et ja neuerdings überall Russen. Da haben wir uns lieber in die Berge verzogen. Und jetz, wo Sie auch noch hier sind, freu‘ ich mich. Schön, dat Sie endlich mal richtig Zeit für mich haben. Herr Doktor - wat halten sie davon, wenn wir Drei uns morjen ein Auto mieten und zusammen Majorca erkunden.«
Genau das hatte ich erwartet. »Nein. Wissen Sie, ich habe ein gutes Buch dabei und wollte eigentlich nur vom Balkon aus die schöne Aussicht auf das Meer genießen.«
»Ach wat! Dat kann man auch von unterwegs. Wir halten ein paarmal an, un dann machen wir schöne Fotos von uns Drei. Wir laden Sie auch in ein schönes Restaurant ein. Da jibt et leckeres Jägerschnitzel un Altbier wie in der Heimat.«
Ich versuchte es mit Nachdruck. »Vielen Dank für das nette Angebot. Aber ich wollte wirklich nur einmal die Seele baumeln lassen und jetzt eigentlich noch ein paar Bahnen schwimmen.«
Seine bäuchlings oben treibende Kunsthaarbadehaube wurde misstrauisch. »Pitterchen – merkst Du nich? Der Herr Doktor will mit uns einfachen Leuten nix zu tun haben.«
„Ach Hertha, Schätzeken - wat erzählst du denn da. Der Herr Doktor kommt doch selbst aus einfache Verhältnisse. Un mit seinem Onkel Ewald bin ich zur Schule gegangen. Der war auch nich der hellste Kopf. Ich weiß auch nich, woher unser Doktor die Intellijenz hat. Jedenfalls nich von Ewald seine Seite.«
Mir kam bei diesem Monolog der Spruch ins Bewusstsein, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt und wurde nun aufsässig. »Es hat nichts damit zu tun, dass ich mit einfachen Leuten keinen Umgang haben will. Ich möchte nur einmal für ein paar Tage meine Ruhe haben und habe deshalb keine Lust, morgen schon über die Insel zu fahren und mir irgendetwas anzusehen.«
„Nein, is schon jut, Herr Doktor. Meine Hertha hat et nich so jemeint. Aber Sie könnten sich wenigstens mal nach dem Abendessen mein Jenick ansehen. Dat tut schon seit Wochen so weh, dat können Sie sich jar nich vorstellen. Deswegen wollte ich auch in dat warme Wetter von Majorca.«
Was blieb mir anderes übrig. »Von mir aus. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass ich hier nicht viel ausrichten kann.«
»Doch, dat können Sie. Ich hab nämlich gesehen, dat et in Valldemossa einen deutschen Masseur jibt, un der hat mir auch schon jesagt, dat er von Ihnen nur ein Privatrezept über sechsmal Massage braucht. Wenn Sie dafür jerade stehen, dann kann ich dat zu Hause bei meiner Versicherung einreichen und dat Geld wiederbekommen. Hab ich doch toll überlegt - oder? Ach ja – un vielleicht sehen Sie sich bei der Jelegenheit auch gleich mal ein paar von meinen braunen Flecken an.“ Dann wurde er todernst. »Nich, dat daraus wejen der Sonne hier Hautkrebs wird un ich am Ende des Jahres tot bin. Dat würde Ihnen meine Hertha nie verzeihen.«
Ich dachte: »Nein, Du Quasselstrippe. Dem Sensenmann wirst Du sicher noch lange nicht begegnen. Er hat ja schließlich auch ein Nervenkostüm.«
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