41. Happy New Year – bitte nicht stören
Ein Silvesterabend im Zeichen des Akkustandes

Der Übergang ins Jahr 2025 war wieder einmal ein triumphaler Beweis dafür: Ich bin nicht mehr Mensch – ich bin Mobilgerät. Genauer gesagt: Ich bin ein Handy-Junkie mit vollem Akku und leerer Seele. Und ich bin nicht allein. Mein Freundeskreis, einstmals bestehend aus liebenswürdigen, umarmungsfreudigen Menschen, hat sich zu einer Sondereinheit für Echtzeit-Kommunikation und Emoji-Militanz entwickelt.

Früher – also in jener romantisch-verklärten Vor-WhatsApp-Ära – da lag Magie in der Luft. Es wurde umarmt, geherzt, geküsst, getorkelt, gewünscht, geprostet und sich gegenseitig versichert, dass das neue Jahr definitiv besser wird. Diesmal: Bling! – Nachricht von der Ex. Ping! – lustiger Silvesterhund auf TikTok. Buzz! – Video vom Feuerwerk in Bottrop. Alle starrten auf ihre Bildschirme wie die Hühner auf die LED-beleuchtete Körnerausgabe.

Nach dem ersten Schluck Sekt – der übrigens kaum wahrgenommen wurde, weil jemand gerade ein GIF mit tanzenden Glücksschweinen gepostet hatte – herrschte in der Runde eine sonderbare Ruhe. Nicht etwa andächtig oder beseelt – nein, es war die angespannte Stille des Daumenwischens.

Und ich mittendrin: einst ein sozial orientierter Homo Sapiens, heute ein Homo Appiens. Mein Freundschaftsinteresse richtete sich nicht mehr nach links zu meinem besten Freund oder nach rechts zu meiner Liebsten – sondern nach unten, dorthin, wo mein Daumen wie ein besessener Lektor über den Touchscreen - das Stargate in die Cyperwelt - huschte.

Früher war mein Herz der Taktgeber – heute ist es der WLAN-Router. Mein Denken ist cloudbasiert. Mein Selbstwertgefühl hängt an der Zahl meiner Neujahrslikes. Ich existiere, weil mein Telefon vibriert. Cogito, ergo simse.

Während in meiner Kindheit das neue Jahr mit Wunderkerzen begrüßt wurde, begann es nun mit einem Software-Update. Ich wechselte keine Küsse mehr, sondern Sticker. Ich ließ mir keine Wünsche mehr ins Ohr flüstern – sondern schickte 45 Empfängern denselben animierten Glückskäfer mit Zylinder.

Und wehe, man ignoriert mich – dann fühlt sich das an wie eine ungewollte Sitzordnung bei der Hochzeit der Cousine. Schlimmer noch: Wie ein leerer Akku um Mitternacht. Da nützt dann auch kein Frohes Neues mehr – das ist emotionaler Super-GAU.

Meine tiefsten Emotionen teile ich nicht mehr mit echten Menschen, sondern mit meiner Statusmeldung. Ich habe gelernt, meine Grundbedürfnisse zwischen zwei Reels zu erledigen. Und ich habe gelernt, dass Trauer, Wut oder Langeweile keine Rolle mehr spielen – solange mein Display hell leuchtet und mich daran erinnert, dass ich Teil von etwas Großem bin. Dem Internet. Oder wenigstens von Gruppe »Silvester 2k25 🔥🥳💥.«

Die Wahrheit ist: Der Tisch war voller Sektgläser, Kartoffelsalat und Mini-Frikadellen – aber keiner griff mehr zu, weil das WLAN zu stabil war. Der Partyigel blieb unangetastet, weil alle auf digitale Leckerbissen warteten. Und mein Magen rebellierte – nicht vor Hunger, sondern weil ich bei so viel Bildschirmflackern wieder mal vergessen hatte, wo oben und unten ist.

Das neue Jahr begann mit einer Push-Nachricht – und endete mit einem Flachakku. Und meine tieftraurige, erste Erkenntnis des Jahres 2025 war dann auch: »Ich habe mein Smartphone nicht verloren. Ich habe mich darin verloren.«

In der nächsten Folge: Wie ich bei einem Digital-Detox-Seminar versehentlich eine echte Unterhaltung führte.

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